Der Hof als Organismus
Nach unserem Verständnis hat die Landwirtschaft die primäre Aufgabe, sich um die Lebensgrundlage für die Menschen und alles Leben auf der Erde zu kümmern. Dazu gehört eine gesunde Nahrungsgrundlage genauso wie beispielsweise gesunde Luft und reines Wasser usw. Aber auch die Schaffung von Lebensräumen, in denen Mensch, Tier und Pflanze sich wohlfühlen können, gehört zur existenziellen Lebensgrundlage aller Kreaturen.
Diese Aufgabe vermag nur eine Landwirtschaft zu leisten, die als möglichst geschlossener Organismus gestaltet ist. Pflanzenbau und Tierhaltung müssen beide vorhanden und sorgfältig aufeinander abgestimmt sein. Zukauf von Futter- oder Düngemitteln kommt nicht – oder nur in Ausnahmefällen oder in sehr geringen Mengen – in Betracht. Dies würde das gesunde Gleichgewicht durcheinander bringen. Nichts darf zu groß oder zu einseitig werden, kein Feld, keine Kulturart, keine Tierherde. Sehr schnell machen sich sonst Krankheiten breit. Gesunde Verhältnisse beruhen auf einer an den Standort angepassten Vielfalt.
So haben wir es in der Landwirtschaft nicht nur mit Organismen zu tun, sondern der Hof als Ganzes stellt selber eine Art Organismus dar: Die Rinderherde, die Wiesen, die Äcker, der Wald usw. sind seine Organe, die alle ihre bestimmte Funktion haben und aufeinander bezogen sind. Und der Mensch, der Landwirt ist gewissermaßen das Ich dieses Organismus. Seine Aufgabe ist es, alles immer genauer wahrzunehmen und zu verstehen und daraus gestaltend zu handeln. So bekommt ein solcher Hof allmählich seine ganz individuelle Prägung. – Was für eine interessante und vielfältige Aufgabe!
Von außen betrachtet mag ein solcher Betrieb aussehen wie eine Landwirtschaft nach altem Stil, und man könnte meinen, es ginge darum, Altes und Traditionelles zu bewahren. Wenn man darinnen steht, merkt man jedoch, dass die landwirtschaftliche Arbeit im dargestellten Sinn an den ganzen Menschen höchste Ansprüche stellt. Wir, die wir nicht vom Land, sondern aus der Stadt kommen, verfügen nicht mehr über die alten bäuerlichen Instinkte. Wir müssen bewusst lernen zu beobachten, müssen bewusst lernen, die Lebenszusammenhänge zu verstehen, gleichzeitig müssen wir Techniker sein, müssen Händler sein, müssen Organisatoren sein, usw. Der scheinbar altertümliche Hof erweist sich in Wahrheit als eine durch und durch moderne Aufgabe, die einen klaren Geist, einen kräftigen Willen und eine einfühlsame Seele erfordert. Landwirt eines solchen Biohofes zu sein erweist sich als ein Weg, der einen zum Experten des Lebendigen werden lässt.
Leider werden solche Höfe immer seltener. Man sieht heute oft nicht mehr die Gesamtaufgabe der Landwirtschaft, sondern nur noch die Lebensmittelproduktion, und diese betreibt man in Form der Agrarindustrie: spezialisiert, in großen Dimensionen, technisch steuerbar, Gewinn maximierend. Dementsprechend haben die Betriebe, die nach dem Organismusprinzip gestaltet sind, wirtschaftlich einen schweren Stand. Und es ist davon auszugehen, dass diese Art von Landwirtschaft tatsächlich nur überleben wird, wenn und solange sie von Bürgern gewollt und unterstützt wird.